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Ausschluss der Tierhalterhaftung wegen Mitverschulden

Mit Urteil vom 13. Januar 2021 musste das OLG München, Aktenzeichen: 10 U 4894/20, darüber entscheiden, wie sich die überwiegende Mitverursachung eines Schadens durch das eigene Tier des Geschädigten auf dessen Anspruch aus einer Tierhalterhaftpflichtversicherung auswirkt.

Sachverhalt

Der Kläger macht gegen die Beklagte als Hundeführerin Schmerzensgeld- und Schadens­ersatz­ansprüche aus einem Unfall geltend, den er mit seiner Pferdekutsche erlitten hat.

Der kutschenerfahrene Kläger befuhr die streitgegenständliche Strecke regelmäßig mit einer zweispännigen Kutsche; am Unfalltag durften nach längerer Fahrt die beiden Pferde in gemäßigtem Tempo „auslaufen“. Das Gespann fuhr leicht bergauf auf eine Kuppe zu. Die Beklagte befand sich zur Unfallzeit ebenfalls in diesem Bereich und spielte mit ihren beiden Hunden. Zum Unfallzeitpunkt konnte sie das Gespann nicht sehen.

Zu dem Zeitpunkt, als sich der Kläger in einer Entfernung von etwa acht Metern vor der genannten Kuppe befand und sich beide Tiere zunächst nicht sehen konnten, tauchte plötzlich rechts des Feldweges in der Wiese der nicht angeleinte Hund der Beklagten an der Kuppe auf, bremste abrupt ab, als er die Kutsche sah, weil er sich erschrocken hat, und verschwand gleich wieder. Auch der Kläger sah den Hund nicht rennen, der Hund bellte nicht, er lief nicht auf den Feldweg und er zeigte kein aggressives Verhalten gegenüber den Pferden.

Die Pferde haben sich aufgrund des plötzlichen Auftauchens des Hundes erschreckt, scheuten und rannten in das Feld links neben dem Feldweg und rissen die Kutsche um, wobei der Kläger verletzt und die Kutsche beschädigt wurde.

Das OLG München hat die Berufung des Klägers gegen eine teilweise Klageabweisung zurückgewiesen und der Berufung der Beklagten mit vollständiger Klageabweisung stattgegeben.

Verschuldenshaftung

Ein Verschulden der Beklagten am Zustandekommen des Unfalls kam nicht in Betracht, weil ihr Hund weder unbeaufsichtigt frei umherlief, noch sich so aus ihrem Einwirkungsbereich entfernt hatte, so dass sie ihrer Aufsichtspflicht nicht mehr hätte nachkommen können.

Zudem hätte sich eine mangelnde Beaufsichtigung durch die Beklagte nicht kausal auf das Unfallgeschehen ausgewirkt, weil sich der Hund genau so verhalten hat, wie wenn die Beklagte ihm „Stopp“, „Platz“ oder „Bei Fuß“ geboten hätte. Es habe vielmehr der Hund selbst das getan, was veranlasst war, nämlich stehen zu bleiben, so dass sich ein etwaiges Fehlverhalten der Beklagten im Unfallgeschehen nicht ausgewirkt habe.

Aus Sicht der Pferde machte es keinen Unterschied, ob der Hund, als sich die Tiere erstmals sehen konnten, abbremste, weil er erschrocken war, oder weil er von seinem Halter abgerufen wurde.

Eine Haftung der Beklagten wäre nur gegeben, wenn sich der Hund wegen der Geländebeschaffenheit gar nicht auf die Kuppe hätte zubewegen dürfen, um zu verhindern, dass er dort wegen anderer sich möglicherweise erschreckender Tiere oder Verkehrsteilnehmer unvermutet „auftauche“. Ein solches Auftauchen ließe sich letztlich nur dadurch verhindern, dass der Hundeführer vorangehe oder der Hund sich nur so bewegen dürfe, dass er für andere Tiere stets aus größerer Entfernung sichtbar ist. Eine solche Auffassung ging dem Senat aber zu weit.

Gefährdungshaftung

Zu der Frage der Tiergefahr des Hundes ließ der Senat offen, ob sich in dem Verhalten des Hundes der Beklagten vorliegend die Tiergefahr verwirklichte.

Für eine typische Tiergefahr genügt grundsätzlich jedes tierische Verhalten, durch welches die Unberechenbarkeit von Tieren zum Ausdruck kommt. Entscheidend ist, ob der Hund ein Bewegungsverhalten zeigte, welches über seine bloße physische Anwesenheit hinausging und geeignet war, eine Schreckreaktion auszulösen. Der Zurechnungszusammenhang ist dann unterbrochen, wenn die Reaktion des Betroffenen als nicht mehr durch das Gebaren des Tieres verursacht angesehen werden kann, weil sie völlig ungewöhnlich und damit durch das haftungsbegründende Ereignis nicht mehr herausgefordert ist. Insbesondere bei Kindern, Kranken oder sehr alten Menschen kann es bereits eine Schreckreaktion auslösen, wenn sie von einem Hund angebellt werden. Maßstab für diese Beurteilung ist daher diejenige Bevölkerungsgruppe, welcher der Verletzte angehört.

Es erscheint daher fraglich, ob allein ein „Abbremsen“ des Hundes, also letztlich die physische Anwesenheit des Hundes in einiger Entfernung bereits die Tiergefahr verwirklichte.

Mitverschulden infolge zurechenbarer eigener Gefährdungshaftung

Vorliegend trat aber die Tierhalterhaftung der Beklagten wegen der überwiegenden Mitverursachung des Sturzes durch die eigenen Pferde des Klägers (§ 254 BGB) zurück.

Eine entsprechende Anwendung des § 254 BGB findet nicht nur dann statt, wenn Tiere verschiedener Halter sich gegenseitig verletzen, sondern auch, wenn ein fremdes und ein eigenes Tier zusammen einen Schaden an einem anderen Rechtsgut als dem eigenen Tier verursacht haben. Im Rahmen des § 254 BGB ist daher auch eine Tiergefahr zu berücksichtigen, für die der Geschädigte einzustehen hat, denn dieser Vorschrift liegt der allgemeine Rechtsgedanke zu Grunde, dass der Geschädigte für jeden Schaden mitverantwortlich ist, bei dessen Entstehung ihm zuzurechnende Umstände, etwa eine Sach- oder Betriebsgefahr, mitgewirkt haben. Überwiegt die dem Geschädigten in dieser Weise zuzurechnende Tiergefahr im Einzelfall erheblich, führt dies zur Kürzung, ggf. zum Entfallen der Tierhalterhaftung für das andere beteiligte Tier.

 

Der Senat ging vorliegend davon aus, dass erst die Schreckreaktion der Pferde auf das unvermittelte Auftauchen des Hundes den Unfall und die weitergehenden Folgen ausgelöst haben, so dass sich in dem streitgegenständlichen Sturzgeschehen primär die Tiergefahr der klägerischen Pferde verwirklicht habe. Ein solches Scheuen eines Pferdes stelle ein typisches, unberechenbares Tierverhalten dar, auf Grund dessen den Pferdehalter ein Mitverschulden treffe. Hier kam es zum Sturz, weil der Hund auf der Kuppe auftauchte und stehen blieb. Der Hund begab sich nicht auf den Feldweg, bellte die Pferde nicht an und zeigte auch kein aggressives Verhalten. Die nach klägerischem Vorbringen an Hunde gewöhnten Pferde scheuten nicht wegen eines heranrennenden, sondern wegen eines abbremsenden Hundes. Der Kläger selbst führte das Verhalten seiner Pferde darauf zurück, dass der Hund plötzlich erschien und zwar genau dort, wo die Kuppe war. Gegenüber dem Verhalten der Pferde war nach Auffassung des Senats dieses bloße Erscheinen als Tier dahin zu werten, dass es zum vollständigen Zurücktreten der Tiergefahr des Hundes kam.

Fazit

§ 254 BGB ist auf Ansprüche aus Tierhalterhaftung auch dann anzuwenden, wenn ein fremdes und ein eigenes Tier zusammen einen Schaden an einem anderen Rechtsgut als dem eigenen Tier verursacht haben.

Überwiegt die dem Geschädigten in dieser Weise zuzurechnende Tiergefahr im Einzelfall erheblich, kann dies zum Entfallen der Tierhalterhaftung für das andere beteiligte Tier führen

 

Fachbereich Versicherungsrecht