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I. Einleitung

Die weitreichendste Änderung der am 01.01.2022 in Kraft getretenen Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfvV 2022) ist das erstmals verbindlich eingeführte Erörterungsverfahren (EV) nach § 9. Dieses löst das zuvor unverbindlich vereinbarte Nachverfahren ab und setzt die gesetzliche Vorgabe nach § 17c Abs. 2b KHG um, wonach eine gerichtliche Überprüfung einer Krankenhausabrechnung über die Versorgung von Patientinnen und Patienten nur stattfindet, wenn vor der Klageerhebung die Rechtmäßigkeit der Abrechnung einzelfallbezogen zwischen Krankenkasse und Krankenhaus erörtert worden ist. Das Erörterungsverfahren ist demnach verbindliche Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Klage und hat einen hohen Einfluss auf die Erfolgsaussichten in einem sich anschließenden Klageverfahren. Man ist daher gut beraten, wenn man hier ein höchstes Maß an Sorgfalt walten lässt.

II. Inhaltliche Aufbereitung

A. Frist zur Entscheidungsbestreitung

Nach Absatz 1 hat das Krankenhaus, sofern es sich gegen die Entscheidung der Krankenkasse nach § 8 wehren will, binnen 6 Wochen nach Zugang der Entscheidung gegenüber der Krankenkasse diese inhaltlich begründet zu bestreiten. Gleichzeitig kann es mit dem Bestreiten das Erörterungsverfahren (EV) einleiten.

Nach Absatz 2 handelt es sich hierbei um eine Ausschlussfrist, da nach Versäumen der Frist die Entscheidung der Krankenkasse als nicht bestritten im Sinne des § 109 Absatz 6 Satz 2 SGB V und als erörtert gilt. Die Krankenkasse ist sodann zur Aufrechnung ihres Erstattungsanspruches mit einer unstreitigen Forderung des Krankenhauses berechtigt.

B. Stellungnahme der Krankenkasse

Schließt sich die Krankenkasse der vom Krankenhaus vorgetragenen Begründung an, hat sie dies dem Krankenhaus binnen 6 Wochen nach Zugang des Bestreitens nach Absatz 1 mitzuteilen. Das durch das Krankenhaus eingeleitetes EV ist hierdurch beendet. Konsequenzen bei einem etwaigen Fristversäumnis der Krankenkasse sind nicht geregelt. Kann sich die Krankenkasse der vom Krankenhaus vorgetragenen Begründung hingegen nicht anschließen, hat sie ihre Ablehnung dem Krankenhaus binnen 6 Wochen nach Zugang des Bestreitens nach Absatz 1 mitzuteilen. Das EV gilt spätestens jetzt als eingeleitet, sofern das Krankenhaus nicht schon mit Übermittlung der Begründung das EV förmlich eingeleitet hat.

C. Erörterungsverfahren (EV)

Das EV ist binnen 12 Wochen nach Ablehnung der Krankenkasse abzuschließen. Krankenhaus und Krankenkasse können diesen Zeitraum einvernehmlich verlängern. Das EV kann mündlich, schriftlich oder elektronisch durchgeführt werden. Kann hierüber keine Einigung erzielt werden, ist das EV schriftlich durchzuführen.

Grundlage des EV sind nach Absatz 6 sämtliche erforderliche Daten des streitbefangenen Falles, einschließlich aller der vom MD beim Krankenhaus erhobenen Daten, sowie die im Rahmen des EV übermittelten Unterlagen und vorgetragenen Argumentationen/Einwendungen.

Das Krankenhaus und die Krankenkasse haben sicherzustellen, dass für die Durchführung des Erörterungsverfahrens erforderliche Unterlagen spätestens 4 Wochen nach der Mitteilung gemäß Absatz 3 Satz 1 der anderen Partei vorliegen. Hierbei handelt es sich um eine Ausschlussfrist. Einwendungen, Daten und Unterlagen, die nicht bis zum Ablauf der Ausschlussfrist der anderen Partei vorliegen, können nur noch nach ausdrücklicher Zustimmung der anderen Partei Gegenstand des EV werden.

D. Ausnahmen der Präklusion

Nach Absatz 7 ist eine nicht fristgemäße Geltendmachung von Einwendungen oder Tatsachenvortrag sowie die nicht fristgemäße Vorlage von Unterlagen ausnahmsweise dann zugelassen, wenn das Fristversäumnis weder auf Vorsatz noch auf Fahrlässigkeit beruht und die versäumte Handlung unverzüglich nachgeholt wird.

Wann von Vorsatz oder Fahrlässigkeit auszugehen ist, wird nicht definiert, weshalb hier auf die allgemeinen juristischen Begrifflichkeiten zurückzugreifen ist, die einen gewissen Auslegungsspielraum zulassen. „Vorsatz“ ist demnach das Wissen und Wollen des rechtswidrigen Erfolgs im Bewusstsein der Rechts- bzw. Pflichtwidrigkeit. „Fahrlässig“ handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Im Gegensatz zum Vorsatz wird die Folge des Handelns (Fristversäumnis) nicht willensmäßig herbeigeführt. Damit überhaupt eine Fahrlässigkeit vorliegen kann, bedarf es der Vermeidbarkeit sowie der Voraussehbarkeit des rechts- beziehungsweise pflichtwidrigen Erfolges. Sowohl Vorsatz als auch Fahrlässigkeit unterliegen zahlreichen Abstufungen. Da in Absatz 7 diesbezüglich jedoch keinerlei Abstufungen gemacht wurden, muss davon auszugehen werden, dass es für ein strafbewehrtes Fristversäumnis ausreicht, wenn einfache Fahrlässigkeit vorliegt. Diese ist bereits erreicht, wenn eine Person die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Da es sich letztlich allein um eine Auslegungsfrage handelt, birgt Absatz 7 enormes Streitpotential. In den gemeinsamen Umsetzungshinweisen des GKV-Spitzenverbandes und der DKG (Stand 29.11.2021) werden beispielhaft Störungen oder der Ausfall des EDV-Systems, insbesondere bei Hackerangriffen auf das EDV-System oder bei Eintritt von Hochwassersituationen, als entschuldbare Tatbestände benannt, die ein verspätetes Geltend machen noch zulassen. Das versehentliche „Nichtnotieren“ einer Frist dürfte demnach zumindest als fahrlässig und somit als unentschuldbar einzustufen sein

E. Gemeinsame Erörterung mehrerer Abrechnungsfälle

Krankenhaus und Krankenkasse steht es frei, unabhängig von der Art der Durchführung der Erörterung mehrere strittige Abrechnungsfälle gemeinsam zu erörtern. Dies kann nur einvernehmlich geschehen. Hierbei ist zu beachten, dass zwar Sammelerörterungen grundsätzlich zulässig sind, nicht jedoch Sammeldokumentationen. Jeder erörterte Fall ist einzeln zu dokumentieren.

F. Beendigung des Erörterungsverfahrens

Kommt es zwischen Krankenhaus und Krankenkasse zu einer Einigung, ist das EV beendet. Die Abrechnung des Krankenhauses ist im Bedarfsfall zu korrigieren. Zudem kann das EV jederzeit im Einvernehmen zwischen Krankenhaus und Krankenkasse beendet werden. Verweigert eine der Parteien die Erörterung oder wirkt nicht mit, gilt die Abrechnungsstreitigkeit als erörtert im Sinne des § 17c Absatz 2b Satz 1 KHG.

Wird keine Einigung erzielt, ist das Erörterungsverfahren beendet, die Ergebnisse sind zu dokumentieren. Auf die Dokumentation (§ 10 PrüfvV) ist ein hohes Augenmerk zu richten, da diese im darauffolgenden Klageverfahren bestimmt, was im Klageverfahren noch streitig verhandelt werden darf. Hier bietet es sich an im 4-Augen-Verfahren vorzugehen.

G. Anwendungsbereich

Nach den gemeinsamen Umsetzungshinweisen des GKV-Spitzenverbandes und der DKG (Stand 29.11.2021) gilt das Erörterungsverfahren ausschließlich für Fälle mit MD-Prüfung im Rahmen der PrüfvV. Sonstige Abrechnungsstreitigkeiten, bei denen eine Beauftragung des MD durch die Krankenkasse nicht erfolgte, können weiterhin auch ohne Erörterungsverfahren eingeklagt werden.

H. Übermittlungspflicht und Unterlagenidentität

Das Krankenhaus hat der Krankenkasse die Unterlagen, die schon dem MD fristgemäß vorgelegen haben, zu übersenden, wenn sie in die Erörterung eingebracht werden sollen. Diese müssen identisch sein mit den jeweiligen Dokumenten, die zuvor durch das Krankenhaus für die MD-Prüfung fristgerecht vorgelegt wurden. Demgemäß sind in das Erörterungsverfahren eingebrachte Dokumente, die nicht identisch sind mit den vom MD zuvor angeforderten und daraufhin vom Krankenhaus vorgelegten Dokumenten, von der Erörterung ausgeschlossen. Ungeachtet dessen können weitere Unterlagen, welche vom MD zuvor nicht konkret angefordert wurden, vom Krankenhaus in das Erörterungsverfahren eingebracht werden.

Die DKG und der GKV-Spitzenverband beabsichtigen, sich auf ein technisches Verfahren zur Feststellung der Unterlagenidentität zu verständigen. Bis zur Umsetzung eines solchen technischen Verfahrens hat das Krankenhaus der Krankenkasse die Identität der eingebrachten Dokumente mitzuteilen.

Die bereits übermittelten zahlungsbegründenden Unterlagen nach § 3, die leistungsrechtliche Entscheidung der Krankenkasse sowie das Bestreiten des Krankenhauses nach § 9 Absatz 1 müssen für die Erörterung hingegen nicht erneut übermittelt werden und sind automatisch Gegenstand des Erörterungsverfahrens.

 

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