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Organspendeskandal – Krankenkasse muss Transplantationen bezahlen

Instanzenzug:

SG Hildesheim, Urteil vom 21.10.2019, S 22 KR 405/14

LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18.01.2022, L 16/4 KR 506/19

Sachverhalt:

Die Parteien streiten um die Rückerstattung von Krankenhauskosten. Die Beklagte ist Trägerin eines zugelassenen Krankenhauses. Dort erfolgten im Frühjahr 2010 zwei Transplantationen von Spenderlebern. Beide Patienten waren zu dieser Zeit bei der Klägerin gesetzlich krankenversichert. Die medizinische Indikation zur Transplantation sowie die Durchführung der Eingriffe nach den Regeln der ärztlichen Kunst sind bei beiden Patienten zwischen den Beteiligten nicht streitig.

Die Kosten für die stationären Aufenthalte wurden von der Klägerin zunächst vollständig beglichen. Nach einem anonymen Hinweis im Juli 2011 zu Auffälligkeiten bei Lebertransplantationen im Hause der Beklagten und einer darauffolgenden internen Untersuchung erstattete der Vorstand der Beklagten Strafanzeige gegen den bei ihr von Oktober 2008 bis Ende des Jahres 2011 als leitender Oberarzt für den Bereich der Transplantationschirurgie beschäftigten Dr. O. Im Zuge der staatsanwaltlichen Ermittlungen stellte sich heraus, dass verantwortliche Mitarbeiter der Beklagten falsche Meldungen an die Eurotransplant International Foundation (im Folgenden: Eurotransplant), der zentralen Vermittlungsstelle für Organspenden, vorgenommen hatten, um auf diese Weise die eigenen Patienten auf einem höheren Wartelistenplatz zu positionieren.

Im Falle der bei der Klägerin versicherten Patienten waren fehlerhafte Angaben zu vorangegangenen Dialysebehandlungen getätigt worden. Dies hatte automatisch dazu geführt, dass die Patienten nach dem für die Erstellung der einheitlichen Warteliste bei Eurotransplant maßgeblichen sogenannten MELD-Score den höchsten Wert erreichten und damit einen höheren Platz auf der Warteliste erhalten hatten. Im Wege eines sog. Matching-Verfahrens wurden den Patienten dann die Organe zugewiesen und sodann transplantiert.

Mit Urteil vom 21. Oktober 2019 hat das Sozialgericht Hildesheim die Beklagte zur Zahlung von 157.159,31 Euro nebst Zinsen verurteilt. Der Klägerin stehe ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch auf Rückzahlung der Vergütungen der Krankenhausbehandlungen der beiden Versicherten zu.

Gegen das erstinstanzliche Urteil hat die Beklagte Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt.

Entscheidung des LSG vom 18.01.2022 – L 16/4 KR 506/19

 Die Berufung des Krankenhausträgers war erfolgreich. Nach Auffassung des LSG waren die medizinischen Leistungen von der Krankenkasse zu vergüten, obwohl falsche Daten an die Vergabestelle für Organtransplantationen (Eurotransplant) übermittelt worden waren. Die Falschangaben bezogen sich lediglich auf das Ausmaß der Dringlichkeit und nicht auf das Erfordernis der Transplantation als solche, die im Einzelfall medizinisch erforderlich war und nach den Regeln der ärztlichen Kunst erbracht wurde.

Der Umstand, dass bei der Meldung der Daten der beiden Versicherten unzutreffende Angaben zu kürzlich durchgeführten Nierenersatztherapien gemacht wurden, lässt einen Vergütungsanspruch nicht entfallen. Denn es handelt sich bei der ordnungsgemäßen Meldung der Daten an Eurotransplant nicht um eine formale oder inhaltliche Voraussetzung zur Entstehung eines Vergütungsanspruchs für die stationäre Krankenhausbehandlung des Transplantationspatienten. Während § 39 SGB V lediglich die Voraussetzungen einer Zulassung des erbringenden Krankenhauses sowie der Erforderlichkeit und Wirtschaftlichkeit der stationären Behandlung aufstellt, bestimmt § 13 Abs. 3 Satz 3 Transplantationsgesetz (TPG) zwar, dass die Transplantationszentren die für die Organvermittlung erforderlichen Angaben über die in die Wartelisten aufgenommenen Patienten nach deren schriftlicher Einwilligung an die Vermittlungsstelle melden. Zur Voraussetzung für die Entstehung des Vergütungsanspruchs werden diese Angaben jedoch nicht gemacht. Insofern ist der Fall nicht vergleichbar mit einer Vielzahl von Entscheidungen des BSG zur Vergütung von Arzneimitteln, bei denen gemäß § 129 SGB V die Apotheken vertragsärztlich verordnete Arzneimittel stets nur nach Maßgabe der ergänzenden Rahmenvereinbarungen und Landesverträge an Versicherte der GKV abgeben und die Apotheken im Gegenzug einen vertraglich näher ausgestalteten gesetzlichen Anspruch auf Vergütung gegen die Krankenkassen erwerben.

Die falsch gemeldeten Daten führen zur Überzeugung des Senats entgegen der Auffassung des SG auch nicht dazu, dass die Erforderlichkeit der stationären Leistungen selbst „im engeren Sinne“ entfällt. Zwar ist eine nach zwingenden normativen Vorgaben ungeeignete Versorgung Versicherter nicht im Rechtssinne „erforderlich“. Versicherte haben aufgrund des Qualitätsgebots und des Wirtschaftlichkeitsgebots keinen Anspruch auf ungeeignete Leistungen, insbesondere auf Krankenbehandlung einschließlich Krankenhausbehandlung. Krankenhäuser sind dementsprechend auch grundsätzlich weder befugt, ungeeignet zu behandeln noch berechtigt, eine Vergütung hierfür zu fordern

Ein Verstoß gegen die Meldepflichten gegenüber Eurotransplant hat jedoch keinen Einfluss auf die Eignung und Qualität der erbrachten Transplantationen.

Fazit:

Die getätigten Falschangaben des Oberarztes mögen damit moralisch falsch gewesen sein; den Vergütungsanspruch für die – korrekte – Behandlung der beiden Versicherten berühren sie aber nicht. Die Falschmeldungen durch die Geltendmachung von Erstattungsansprüchen gewissermaßen „zu ahnden“ und damit einem Gerechtigkeitsempfinden Genüge zu tun, ist nicht Aufgabe der Krankenkassen.