Bsg(1)
Quelle: Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Zur Wirksamkeit landesvertraglicher Aufrechnungsverbote

Urteil des BSG vom 11. Mai 2023, B 1 KR 14/22

1. Urteil

Mit Urteil vom 11.05.2023 hat das Bundessozialgericht entschieden, dass die in Landesverträgen vereinbarten Aufrechnungsverbote bis zum 31.12.2015 Gültigkeit besitzen, soweit der Aufrechnung ein sachlich-rechnerischer Prüfgrund im Sinne der BSG-Rechtsprechung zugrunde liegt.

2. Sachverhalt

Das klagende Krankenhaus aus Nordrhein-Westfalen behandelte einen Versicherten der beklagten Krankenkasse im Jahr 2015 stationär. Die Krankenkasse zahlte die in Rechnung gestellte Vergütung. Sie rechnete jedoch später einen Teilbetrag gegen unstreitige Vergütungsansprüche des Krankenhauses mit der Begründung auf, insbesondere sei eine andere Prozedur zu kodieren und eine erlösrelevante Nebendiagnose zu streichen. Hierdurch ergebe sich eine geringer vergütete Fallpauschale.

Das Krankenhaus reichte daraufhin Zahlungsklage ein und begründete diese u.a. damit, dass einer Aufrechnung § 15 Absatz 4 des nordrhein-westfälischen Landesvertrages über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung entgegensteht.

3. Urteilsbegründung

Diese Auffassung hat das BSG bestätigt. Die Vereinbarung in dem nordrhein-westfälischen Landesvertrag über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung, welche die Aufrechnung gegen Vergütungsforderungen des Krankenhauses verbietet, war im Jahr 2015 außerhalb des Anwendungsbereichs der Prüfverfahrensvereinbarung mit höherrangigem Recht vereinbar. Rechtsgrundlage hierfür ist § 112 Absatz 1 und Absatz 2 Satz 1 Nummer 1b SGB V. Die Vorschrift ermächtigt die Vertragspartner unter anderem, die Abrechnung der Entgelte zu regeln, was die Vereinbarung eines Aufrechnungsverbots einschließt. § 9 Prüfverfahrensvereinbarung 2014, der eine vorrangige Aufrechnungsbefugnis enthält, war vorliegend nicht anwendbar, da die Prüfung nicht in den Anwendungsbereich der Prüfverfahrensvereinbarung 2014 fiel. Gegenstand war allein eine sachlich-rechnerische Prüfung.

Der Grundsatz der Beitragssatzstabilität (§ 71 Absatz 1 Satz 1 SGB V) sowie die Verpflichtung der Krankenkasse, Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu erheben (§ 76 Absatz 1 SGB IV), stehen der Wirksamkeit des landesvertraglichen Aufrechnungsverbots nicht entgegen, da die anderweitige Durchsetzung der Ansprüche hierdurch nicht verhindert wird. Allerdings kann bei einer wirtschaftlichen Krise des Krankenhausträgers oder seiner Insolvenz eine Aufrechnung die Liquidierung von Gegenansprüchen der Krankenkassen erleichtern und sichern. Das Aufrechnungsverbot ist jedoch vor dem Hintergrund der Vorleistungspflicht des Krankenhauses zu betrachten. Es bietet den Vertragsparteien die Möglichkeit, das kompensatorische Beschleunigungsgebot zu stärken.

Die Verständigung der Vertragsparteien auf ein Aufrechnungsverbot ist unter Abwägung der sich aus § 71 Absatz 1 Satz 1 SGB V und § 76 Absatz 1 SGB IV ergebenden gewichtigen Interessen der Krankenkassen zwar nicht rechtlich geboten, aber ebenso wenig rechtlich zu beanstanden. Der Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 4 Absatz 4 SGB V) bezieht sich nur auf die Betriebs- und Haushaltsführung der Krankenkassen. Ebenfalls steht das allgemeine Wirtschaftlichkeitsgebot (§§ 2 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 4, 12 Absatz 1, 70 Absatz 1 Satz 2 SGB V) der Vereinbarung von Aufrechnungsverboten nicht entgegen, da Ansprüche der Krankenkassen dadurch weder aufgegeben werden noch deren Durchsetzung vereitelt wird. Eine Einschränkung des Gestaltungsspielraums ergibt sich schließlich auch nicht aus der entsprechenden Anwendung zivilrechtlicher Vorschriften (§ 69 Absatz 1 Satz 3 SGB V in Verbindung mit §§ 134, 138, 242 BGB).

Zudem stellt es grundsätzlich keine unzulässige Rechtsausübung dar, wenn sich das Krankenhaus auf das vertragliche Aufrechnungsverbot beruft, selbst wenn die Gegenforderung der Krankenkasse vom Krankenhaus nicht bestritten wird.