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Außerordentliche Kündigung wegen Kirchenaustritts ist unwirksam

LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 10.02.2021 – 4 Sa 27/20       

Tenor:

Ein Koch, der in einer evangelischen Kindertagesstätte arbeitet muss kein Kirchenmitglied sein. Entsprechendes entschied das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg am 10.02.2021 unter dem Aktenzeichen: 4 Sa 27/20.

Sachverhalt:

Der Koch war seit 1995 in einer Kindertagesstätte der evangelischen Gesamtkirchengemeinde Stuttgart beschäftigt und hatte im Juni 2019 seinen Austritt aus der evangelischen Landeskirche erklärt. Infolgedessen kündigte ihm die Gemeinde das Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos. Die Kirche sehe ihr Handeln und Verständnis vom besonderen Bild der christlichen Dienstgemeinschaft geprägt, hieß es zur Begründung. Mit dem Kirchenaustritt verstoße der Koch deshalb schwerwiegend gegen seine vertraglichen Loyalitätspflichten.

Der Koch hielt dem jedoch entgegen, dass sich sein Kontakt mit den Kindern auf die Ausgabe von Getränken beschränke. Auch mit dem pädagogischen Personal in der Kita habe er nur alle zwei Wochen in einer Teamsitzung Kontakt gehabt, wo es um rein organisatorische Probleme gegangen sei.

Urteil:

Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens hat das Landesarbeitsgericht wie das Arbeitsgericht Stuttgart die Kündigung der Beklagten für unwirksam erachtet und deshalb die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht schloss sich der Begründung des Arbeitsgerichts an. „Die Loyalitätserwartung der Beklagten, dass der Kläger nicht aus der evangelischen Kirche austrete, stellt keine wesentliche und berechtigte Anforderung an die persönliche Eignung des Klägers dar.“

Präjudiz: Chefarzt-Fall

Diese Entscheidung geht letztlich auch konform mit der Entscheidung des ,,Chefarzt-Falls‘‘ (BAG, Urteil vom 20.02.2019 – 2 AZR 746/14 bzw. EUGH-Urteil EuGH, Urteil vom 11.09.2018 – C-68/17). In diesem wurde dem Chefarzt eines katholischen Krankenhauses aufgrund seiner Wiederverheiratung gekündigt. In dem Rechtsstreit, der unter anderem vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verhandelt wurde, unterlag der kirchliche Arbeitgeber ebenso wie im hier streitgegenständlichen Fall des LAG Stuttgart.

Das Handeln der Kirche ist folglich an der Richtlinie 2000/78/EG vom 27.11.2000 zu messen. Diese lautet in Artikel 4 II wie folgt:

(2) Die Mitgliedstaaten können in Bezug auf berufliche Tätigkeiten innerhalb von Kirchen und anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, Bestimmungen in ihren zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie geltenden Rechtsvorschriften beibehalten oder in künftigen Rechtsvorschriften Bestimmungen vorsehen, die zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie bestehende einzelstaatliche Gepflogenheiten widerspiegeln und wonach eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder Weltanschauung einer Person keine Diskriminierung darstellt, wenn die Religion oder die Weltanschauung dieser Person nach der Art dieser Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt. Eine solche Ungleichbehandlung muss die verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Grundsätze der Mitgliedstaaten sowie die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts beachten und rechtfertigt keine Diskriminierung aus einem anderen Grund.

Sog. Verkündungsnähe als entscheidender Faktor

Hiernach dürfen kirchliche Arbeitgeber in bestimmten, durch die Rechtsprechung definierten Grenzen von ihren Beschäftigten Loyalität verlangen und demzufolge Verletzungen dieser Loyalitätspflicht auch mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses sanktionieren. Dies gilt aber nicht, wenn die Loyalitätserwartung des Arbeitgebers keine wesentliche und berechtigte Anforderung an die persönliche Eignung des Arbeitnehmers darstellt. Das entscheidende Stichwort in diesem Zusammenhang ist die sogenannte Verkündungsnähe, die den Zusammenhang zwischen der Vermittlung der kirchlichen Werte vor dem Hintergrund der nach außen getragenen Werteüberzeugung des oder der Vermittelnden beschreibt. Bei dem Koch im Kindergarten stellt die Loyalitätserwartung nach den Feststellungen des Sachverhalts gerade keine wesentlichen Anforderungen dar.